GUSTAV-HEINEMANN-SCHULE

Kooperative Gesamtschule in Hofgeismar

Rede zur Abschlussfeier, 13. Juli 2016, Dr. Tina Hoffmann-Deist

Liebe Schülerinnen und Schüler der Abgangs- und Abschlussklassen, liebe Eltern und Geschwister, liebe Kolleginnen und Kollegen,

als ich mich hinsetzte, um ein paar Abschiedsworte für meine lieben Abgänger der G9b und selbstverständlich auch für alle Abschlussklassen aufzuschreiben, gingen mir viele Fragen durch den Kopf. Was könnte ich euch zum heutigen Anlass sagen? Welche guten Wünsche sollte ich euch stellvertretend für alle Lehrer, die euch in den letzten Jahren begleitet haben, mit auf den Weg geben? Was erwartet ihr - die Hauptpersonen der heutigen Veranstaltung - zu hören?

Schließlich blickt ihr mit ganz unterschiedlichen Hoffnungen, Wünschen und Ängsten auf eure Zukunft, habt ganz unterschiedliche Pläne für eure Zeit nach der GHS gemacht. Viele von euch werden weiter zur Schule gehen und hoffen auf ein gutes Abitur oder Fachabitur, einige werden bereits eine Ausbildungsstelle antreten und zum ersten Mal ihr eigenes Geld verdienen. Viele haben sicherlich erst einmal ihre berufliche Karriere im Blick, möchten ins Ausland und haben sehr konkrete Pläne, wie ihre Zukunft aussehen soll, während mindestens genauso viele noch völlig planlos sind und auch noch eine zeitlang bleiben wollen. Was außer - herzlichen Glückwunsch! bis hier hin habt ihr es geschafft - passt überhaupt gleichermaßen zu euch allen?

Was machen also Deutschlehrerinnen wie ich, die nicht genau wissen, wie sie ihre Fragezeichen in wohl formulierte Worte fassen können? Sie klauen von - sie zitieren andere. Vielleicht Goethe, Kleist, Schiller, Shakespeare? Die üblichen Verdächtigen für Veranstaltungen wie diese. Doch stattdessen habe ich mich für heute Abend für die Worte einer Literaturstudentin entschieden, die nicht zu diesen Großen gehört.

2012 machte eben diese Studentin, Marina Keegan, ihren Abschluss an der renommierten Yale University. Sie wollte Autorin werden, schrieb in jeder freien Minute, belegte so viele Literaturkurse, wie sie konnte, war Studentenpräsidentin, spielte Theater und hatte bereits einen Job beim großen Magazin The New Yorker sicher. Aufgrund ihrer herausragenden Talente wurde ihr zum krönenden Abschluss ihres Studiums die Ehre zuteil, die Abschlussrede vor allen Absolventen, Eltern und Professoren zu halten. Der perfekte Stoff aus dem Fernsehserien gemacht werden also.

Doch 5 Tage nach ihrem Abschluss war Marina Keegan tot. Sie starb durch einen Autounfall, den ihr Freund verursachte, weil er am Steuer eingeschlafen war. Die junge Studentin hinterließ einige Essays und Short Stories, doch vor allem ihre wunderbare Abschlussrede, die nicht zuletzt aufgrund ihrer dramatischen Geschichte innerhalb kürzester Zeit zum Internethit und so populär wurde, dass Millionen von Leser genauso wie ich darauf stießen. Sie beginnt mit den Worten: „We don’t have a word for the opposite of loneliness, but if we did, I could say that’s what I want in life.“ Wir haben kein Wort für das Gegenteil von Einsamkeit, aber wenn wir eines hätten, könnte ich sagen, das ist es, was ich für mein Leben will.

Ihr steht nun alle an einem Punkt in eurem Leben, nach dem sich einiges oder vielleicht sogar vieles verändern wird. Ich denke, das ist es, was ihr heute Abend gemeinsam habt. Vielleicht ist es sogar das einzige, das ihr gemeinsam habt. Ich hoffe, Ihr könnt auf eure Zeit an der GHS zurückblicken und sagen, dass ihr genau dieses Gefühl, das Marina Keegan rückblickend auf ihre Studienzeit beschreibt, erleben durftet. Das Gegenteil von Einsamkeit: in Klassengemeinschaften, auf Fahrten und bei Ausflügen, in AGs, in Projektgruppen, im Sport, im Orchester, in der SV … In den letzten 5 bis 6 Jahren hattet ihr viele Möglichkeiten, kleine und größere Kreise um euch zu ziehen, um dieses Gefühl zu erleben, das nur schwer zu fassen ist. Es ist eben einfach das Gefühl, schreibt Marina, dass dort viele andere Leute sind „who are in this together“, „who are on your team“. Und wenn ihr euch genau jetzt umschaut, seht ihr ganz viele andere, die in eurem Team waren und einige, die es sicher bleiben werden.

Egal welche Zukunft vor euch liegt, ganz egal, welche Pläne ihr realisieren wollt, ich hoffe, dass ihr immer diese kleinen und großen Kreise um euch ziehen könnt, dass ihr Freunde und Familie habt und findet, die euch wie  sicher gespannte Netze Halt geben, wenn ihr ihn braucht und euch durch die Maschen schlüpfen lassen, wenn ihr gehen müsst.

Sicher wünsche ich euch gute Noten, Durchhaltevermögen, viele klug getroffene Entscheidungen, aufgeschlossene neue Lehrer und motivierende Chefs, Mr. Right und Mrs. Perfect zu finden. Doch vor allem anderen, wünsche ich euch dieses beständige Wissen im Hinterkopf und das stetige Gefühl im Herzen, das unsere Sprache nicht einmal benennen kann. Denn wir haben kein Wort für das Gegenteil von Einsamkeit, aber wenn wir eines hätten, könnte ich sagen, das ist es, was ich euch für euer Leben nach der GHS wünsche.

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